Wie die Sterne ans Himmelszelt zurückkehrten

Letzten Freitag war Gott beim Teufel zu einem Spielchen eingeladen.

Gott kam zu spät. Er war vom Weg abgekommen – nicht zum ersten Mal. Er hatte Mühe, sich in dem dunklen Chaos zurecht zu finden, in dem der Teufel lebte. Diesmal hatte er wenigstens daran gedacht, die ewige Fackel mitzunehmen, die etwas Licht in die Dunkelheit brachte.

„Da bist du ja.“ Der Teufel begrüsste ihn mit einem schiefen Lächeln. „Heute etwas weniger verspätet als letztes Mal. Wenn du so weiter machst, dann wirst du in etwa zweihundert Jahren pünktlich sein.“

Gott wischte sich den Schweiss von der Stirn. „Kaum zu glauben, wie heiss es hier unten ist. Du solltest endlich Wegweiser aufstellen lassen, das Loch hier ist sonst unmöglich zu finden. Lass mich rein, ich muss mich setzen.“

Der Teufel öffnete die Tür und liess Gott herein. Gott ging ins Wohnzimmer, stellte das Herdfeuer klein und setzte sich auf einen der grobschlächtigen Eisensessel, die sich der Teufel von seiner Tochter hatte schmieden lassen.

Der Teufel setzte sich ihm gegenüber. Gott starrte auf den Tisch, der zwischen ihnen stand.

„Was spielen wir heute?“

„Ich schlage Würfelpoker vor. Mir scheint, das können wir beide am besten.“

„Einverstanden. Wie hoch soll der Einsatz sein?“

Der Teufel lehnte sich zurück und lächelte sein hintergründiges Lächeln.

„Als Einsatz schlage ich etwas Besonderes vor: die Sterne.“

„Die Sterne?“

„Ja, die Sterne. Weisst du noch, wie du sie vor tausend Jahren vom Himmel geholt und bei dir eingeschlossen hast, nur wegen der paar Seelen, die ich dir mit einer zugegeben nicht ganz fairen List abspenstig gemacht habe? Seither ist bei uns nur noch finstere Nacht. Meine Teufel und die armen Seelen, die bei uns zu Gast sind, werden immer trauriger. Wir brauchen den Anblick der Sterne, sonst werden wir uns vor lauter Trübsinn eines Tages alle umbringen. Wer gewinnt, darf die Sterne für sich behalten.“

Gott kratzte sich über dem rechten Auge.

„Du weisst genau, dass das mehr als verdient war, dass ich die Sterne zu mir holte. Bei mir sind sie sicher.“

„Komm schon, sei kein Frosch. Ein bisschen Risiko muss sein, sonst macht’s keinen Spass.“

Gott seufzte. „Meinetwegen. Aber versuch bloss keine faulen Tricks, sonst werde ich dafür sorgen, dass ihr hier unten nie mehr Licht habt.“

„Keine Angst, ich werde mich hüten. Magst du einen Drink?“

„Ja, ein Drink wäre nicht schlecht. Hast du noch diesen höllisch guten Single Malt, den wir vor hundert Jahren angebrochen haben?“

„Ja, den trink ich nur mit dir.“

Der Teufel zog an der Kordel zur Dienstbotenklingel. Sein Diener erschien, ein blonder Hüne mit blauen Augen.

„Bring uns den Lagachmorein und zwei Kristallgläser aus der Schatzkammer, Siegfried.“

Der Diener verbeugte sich. „Sehr wohl, mein Herr und Meister.“ Er entfernte sich federnden Schrittes.

Gott schmunzelte. „Hat sich gut gehalten, dein Butler.“

„Ja. Siegfried ist eine wahre Augenweide.“

Siegfried kehrte mit einem Silbertablett zurück, schenkte ein und stellte die Gläser hin.

„Zum Wohlsein, die Herrschaften.“

„Besten Dank.“ Gott lächelte. Nur mit Mühe konnte er den Impuls unterdrücken, Siegfried in die rote Wange zu kneifen.

Sie stiessen mit den Kristallgläsern an und tranken geniesserisch.

„Ich schlage vor, wir wärmen uns zuerst ein bisschen auf.“

Sie würfelten eine Weile ohne Einsatz, mit wechselndem Glück. Mal gewann Gott, mal der Teufel.

Nach einer halben Stunde stand der Teufel auf.

„So, nun gilt’s ernst. Wir nehmen dafür die Würfel, die du mir geschenkt hast.“

Gott hatte dem Teufel einst zu Weihnachten einen Satz ausserordentlich schöner Würfel geschenkt, welche von einem Kalifen stammten, der sich in den christlichen Himmel verirrt hatte.

Der Teufel legte die Würfel des Kalifen in die Mitte des Tisches.

„Nur ein Durchgang. Wer beginnt?“

„Ist mir egal.“

„Gut, dann fang ich an.“

Der Teufel nahm die Würfel in seine stark behaarte linke Hand und atmete tief durch. Er schüttelte die Hand und warf die Würfel mit einer Sanftheit auf den Tisch, die ihm kaum jemand zutrauen würde.

Er warf zwei Paare: zwei Zehner und zwei Damen. Er nahm den fünften Würfel, der einen König gezeigt hatte, und warf ihn zum zweiten Mal – ein Bube. Er warf zum dritten Mal, diesmal mit einer eher ungelenken Bewegung.

Eine Dame. Der Teufel atmete auf. „Full House. Jetzt du.“

Gott nahm die Würfel in seine rechte Hand. Er schloss die Augen für einen kurzen Moment, schlenkerte die Würfel ein wenig in der geschlossenen Hand hin und her und liess sie mit einer lässigen Bewegung auf den Tisch fallen.

Ein Würfel nach dem anderen blieb bei einem As stehen.

Gott lehnte sich lächelnd zurück. „Fünf Asse. Ich habe gewonnen. Das hast du nun von deinen überspannten Ideen.“

Der Teufel starrte auf den Tisch, von wo aus die fünf Asse zurückstarrten. Er hatte wieder einmal alles riskiert und alles verloren.

Gott beugte sich vor. „Weil ich aber ein gütiger Gott bin, werde ich die Sterne trotzdem wieder am Himmel verteilen. So kommen alle in den Genuss der Sternenpracht, auch du und die Deinen.“

Er stand auf. „Nun möchte ich nach Hause. Das Spiel hat mich angestrengt.“

Der Teufel verneigte sich vor Gott. „Ich danke dir. Deine Grosszügigkeit beschämt mich. Ich stehe in deiner Schuld.“

„Du schuldest mir nichts. Aber denk daran, Wegweiser aufzustellen. Leb wohl.“

„Leb du auch wohl.“

Im Himmel angekommen, holte Gott die Sterne aus der Truhe, in der er sie verwahrt hatte. Er nahm die Sterne in seine mächtige rechte Hand und verteilte sie mit einem weiten Wurf in unregelmässigen Abständen am Himmelszelt, wo sie seither unverändert stehen und jede Nacht mit ihrem fernen Schein verzaubern.

  

 

© Jost Aregger

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